Ab in den Süden – die Nordlichter des 56. WL erkunden die südwestliche Archivlandschaft in Ludwigshafen, Freiburg, Basel und Emmendingen

Am frühen Morgen des 26. September 2022 brachen der 56. WL und der 59. FHL der Archivschule Marburg voller Vorfreude und Spannung jeweils zu ihren großen Exkursionen auf. Während der FHL von Marburg aus in Richtung Köln startete, steuerten wir, der WL, Freiburg an. Schon im Frühjahr wurde die Stadt im Südwesten als Hauptziel auserkoren. Mit Ludwigshafen, Basel und Emmendingen standen weitere Orte für Besuche in acht völlig unterschiedlichen und zum Teil auch für uns neuen Archivsparten auf dem Plan.

Nach einer kurzweiligen Busfahrt – die bei so manchem von uns nicht zuletzt wegen einer portablen Nintendo Switch (#Emulation #digitale Formate) das ultimative Klassenfahrtfeeling auslöste – sollte das Unternehmensarchiv des Chemiekonzerns BASF SE in Ludwigshafen unser erster Stopp sein. Begrüßt wurden wir dort von Dr. Susan Becker, Dr. Isabella Blank-Elsbree und Dr. Udo Kaulich, die uns anhand einer Präsentation in die rund 100 Jahre umfassende Geschichte und die Tätigkeiten des Archivs bzw. der BASF Corporate History einführten. Da lange kein offener Zugang für externe Nutzer*innen möglich war, handelte sich das Archiv den unrühmlichen Spitznamen „Drachenburg“ ein. Diese Zeiten sind aber längst vorbei, denn mittlerweile können die Bestände weitestgehend problemlos eingesehen werden. Das Archiv umfasst ca. 2.000 lfm. Schriftgut, zu dem ebenfalls Fotos, Pläne, Karten und Objekte gehören. Seit diesem Jahr übernimmt es auch digitale Unterlagen und steht – wie andere Archive auch – vor den Herausforderungen, die die Etablierung eines digitalen Langzeitarchivs mit sich bringt. Eine Führung durch die Ausstellungen und das Archivmagazin des BASF rundeten unseren Besuch ab. Anschließend ging es weiter nach Freiburg, wo wir nach Bezug unseres Hotels den Abend bei einem gemeinsamen Essen ausklingen ließen.

Der 56. WL vor dem Bundesarchiv-MilitärarchivAm zweiten Tag standen gleich zwei Archive auf dem Programm. Den Anfang machte das Bundesarchiv, Abtl. Militärarchiv (BAMA). Anstelle einer klassischen Führung durch Gebäude und Magazin brachten uns Dr. Andreas Kunz, Dr. Thomas Menzel und Burkhart Reiß ihre jeweiligen Arbeitsschwerpunkte näher. Während Dr. Kunz die Problematiken beim Aktenzugang darstellte, erläuterte Herr Reiß die Überlieferungsbildung des Bundesministeriums und der Bundeswehr am Beispiel militärischer Führungsinformationssysteme. Da es sich hierbei um hochkomplexe Fachverfahren handelt, stellt sich vor allem die schwierige Frage nach deren Bewertung und Übernahme. Dr. Menzel präsentierte uns die Digitalisierung von Großformatkarten (bis zu 4 x DINA0). Besonders eindrücklich waren seine Schilderungen zur öffentlichen Zugänglichmachung von digitalisierten Fotos, die umstrittene bzw. hochsensible Motive aus der Zeit der Weimarer Republik oder des Nationalsozialismus zeigen. Vorrangig werden aktuell Bestände aus der NS-Zeit digitalisiert.

Den Nachmittag verbrachten wir im Stadtarchiv Freiburg, das sich (noch) im Herzen der Stadt befindet. Archivleiter Dr. Andreas Jobst und sein Stellvertreter Tobias Binkert führten uns durch das historische Hauptgebäude und gaben uns Einblicke in die alltägliche Arbeit des mit elf Mitarbeiter*innen (davon sieben Facharchivar*innen) besetzten Archivs. Der Schwerpunkt lag jedoch auf dem u.a. aus Platzgründen notwendig gewordenen baldigen Umzug des Archivs in einen am nördlichen Stadtrand gelegenen Neubau. Am Ende des Besuchs klärte uns Margarethe Baumgartner über den Stand der digitalen Archivierung im Stadtarchiv auf.

Am Mittwoch passierten wir die Grenze in Richtung Schweiz, genau genommen ging es ins schöne, aber leider völlig verregnete Basel. Wie am Tag zuvor sollten zwei unterschiedliche Archivtypen von uns genauer unter die Lupe genommen werden. Im Basler Staatsarchiv empfingen uns Dr. Esther Baur, Lambert Kansy und Dr. Hermann Wichers. Ähnlich wie das Stadtarchiv Freiburg steht auch das Staatsarchiv Basel vor der Bewältigung eines baldigen Umzugs, in dessen konzeptionelle und logistische Herausforderungen wir tiefe und erhellende Einblicke erhielten. Des Weiteren wurden uns der Aufbau und die Entstehung des digitalen Lesesaals vorgestellt. Eine Führung durch das Haus beendete schließlich den Vormittag.

Spannend wurde es am Nachmittag ebenfalls im Archiv der Basler Mission/Mission 21, wo uns Dr. Patrick Moser und Andrea Rhyn willkommen hießen. Das im ehemaligen Missionshaus von 1860 untergebrachte Privatarchiv steht der internationalen Forschung mit seinen ca. 2,5 lfd. km Akten, 7.000 Karten und Plänen sowie über 50.000 Fotos offen. Die Überlieferung setzt 1815 mit der Gründung des Missionsarchivs ein und reicht bis in unsere heutige Zeit. Inhaltlich bildet das Archivgut die Tätigkeiten von Missionar*innen ab, die u.a. nach Lateinamerika, Afrika und in die Mongolei entsandt wurden. Das Archiv ist sich seiner eigenen Geschichte bewusst und setzt sich kritisch mit dem Kolonialismus auseinander, indem z.B. entsprechende Unterlagen und diskriminierende Begriffe in den historischen Kontext eingeordnet und erläutert werden. Die ursprünglich im Anschluss angedachte Erkundung Basels war aufgrund des schlechten Wetters leider unmöglich, so dass wir zeitig nach Freiburg zurückkehrten, um dort den Abend in geselligen Runden beim Kartenspielen oder in einem der zahlreichen Wirtshäuser zu verbringen.

In einem launigen Vortrag brachte uns am Donnerstagmorgen Prof. Dr. Dieter Speck – Leiter des Archivs der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg – dessen Geschichte und die dort anfallenden Aufgaben näher. Mit dem „Uniseum“ fällt zudem die Leitung des ersten Universitätsmuseums Deutschlands ebenfalls in den Aufgabenbereich von Prof. Dr. Speck. Beide Einrichtungen sind zwar getrennt voneinander zu betrachten, werden aber in Personalunion von Prof. Dr. Speck geleitet, wodurch sie eng miteinander verknüpft sind. Aktuell beteiligt sich das Archiv im Rahmen eines Drittmittelprojekts an der Provenienzforschung im kolonialen Kontext. Das Forschungsteam versucht u.a. anhand der Bestände des Universitätsarchivs die Herkunfts- und Erwerbsgeschichte menschlicher Schädel in der Anatomisch-Anthropologischen Sammlung der Universität Freiburg nachzuvollziehen.

Auch in der zweiten Hälfte des Vormittags verblieben wir im universitären Kontext und besuchten im Anschluss an das Universitätsarchiv das Zentrum für Populäre Kultur und Musik (ZPKM) unter Leitung von Prof. Dr. Dr. Michael Fischer. Gesungen wurde trotz guter Stimmung zwar nicht, dafür erhielten wir interessante Einblicke in eine Einrichtung, die sich nicht als klassisches Archiv, sondern eher als eine Mischung aus Museum, Archiv und Bibliothek begreift. Der Schwerpunkt liegt auf eigener Forschung und Lehre auf dem Gebiet der populären Kultur und Musik. Das ZPKM ist als universitäre Einrichtung zwar noch recht jung, konnte aber bei seiner Gründung 2014 bereits auf eine hundertjährige Tradition zurückblicken. 1914 hatte Prof. Dr. John Meier zur Sammlung deutscher Volkslieder aufgerufen, womit er das Deutsche Volksliedarchiv ins Leben rief. Hauptsächlich ging es ihm darum, sich von der damals immer beliebter werdenden französischen Operettenmusik abzugrenzen und althergebrachtes Liedgut vor der Vergessenheit zu schützen. Heute sammelt und erschließt das ZPKM u.a. Schallplatten und andere Tonträger sowie schriftliches Liedgut aus ganz Europa. Unseren letzten Abend in Freiburg genossen wir schließlich bei Flammkuchen und dem einen oder anderen Kaltgetränk.

Am Freitagmorgen (bei bestem Sonnenschein, nachdem es die Tage zuvor nahezu durchgeregnet hatte) verschlug es uns auch schon zurück gen Marburg. Vorher sollte allerdings das Deutsche Tagebucharchiv e.V. (DTA) in Emmendingen unser letzter Halt sein. Marlene Kayen begrüßte uns hier als Vorsitzende des als Verein privat organisierten Archivs und erläuterte uns anhand vieler eindrücklicher Beispiele dessen vielfältige Bestände. Diese setzen sich u.a. aus 25.200 Tagebüchern und Briefen aus ganz Deutschland und der Welt zusammen. Zeitlich reichen die Unterlagen bis ins frühe 18. Jahrhundert zurück, der Schwerpunkt der Überlieferung liegt jedoch auf dem 19. und 20. Jahrhundert. Erschlossen, bearbeitet und für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden die Unterlagen von den zahlreichen ehrenamtlichen Mitgliedern des Vereins. Es bestehen ferner enge Kooperationen zum Landesarchiv Baden-Württemberg und der Universität Freiburg, die bei technischen, archivfachlichen und rechtlichen Fragen dem DTA zur Seite stehen.

Insgesamt war es eine durch und durch spannende, abwechslungsreiche und vor allem lehrreiche Exkursion, auf der wir viele verschiedene Archivsparten näher kennenlernen und auch als Gruppe nochmal eine schöne Zeit miteinander verbringen durften, bevor sich unsere Wege nach Abschluss der Fachstudien wahrscheinlich in alle Himmelsrichtungen trennen werden. Freiburg wird uns sicherlich allen in guter Erinnerung bleiben!

An dieser Stelle möchten wir uns bei allen Mitarbeiter*innen der besuchten Archive für den herzlichen Empfang, die interessanten Einblicke in die unterschiedlichsten Archivrealitäten und die Möglichkeiten des fachlichen Austausches bedanken.

Unser besonderer Dank gilt unserem Mentor Dr. Dominik Haffer für die Planung und Organisation der Exkursion sowie die Runde Kaltgetränke am letzten Abend. Wir hoffen, dass seine Nerven nicht allzu stark in Beanspruchung genommen wurden! [Anmerkung des Mentors: Keineswegs!]

Jan-Hendrik Evers

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