Der 61. Fachhochschul-Lehrgang und das Rätsel um das verschwundene Hexen-Denkmal

Menschen schauen von einer Terrasse in die FerneAm 13.12.2023 startete der 61. FHL mit Prof. Dr. Henne bei zunächst mäßiger Witterung seine Exkursion durch das beschauliche Marburg, nicht ahnend, welche Hürden ihm bis zum Erreichen des über der Stadt thronenden landgräflichen Schlosses noch begegnen würden. Mit wetterfester Kleidung und Regenschirmen ausgestattet, wurde an ausgewählten Orten den Referaten zur Marburger Rechtsgeschichte gelauscht, die mal düster, mal heiter, aber immer sehr lebendig an vergangene Verbrechen der Marburger Studierendenschaft, wegweisende religiöse Streits und die Urväter der deutschen Märchenlandschaft erinnerten. Damit wurden die Themen der Veranstaltung zur „Tektonik der Rechtsgeschichte bis 1900“ von Prof. Dr. Henne vor Ort besichtigt.

Den Start markierte ein Kurzreferat zur Kugelkirche und dem Kugelhaus, deren Geschichte aufs Engste verknüpft ist mit der unserer derzeitigen Heimat, der Archivschule. Von lustigen Hüten (“Gugel”) und klaffenden Löchern im Haushalt der Stadt, die die Renovierung des Kugelhauses verhindern, wusste der Referent zu berichten und unterhielt die lauschende Menge wie ein Priester von seiner Kanzel aus. Anschließend ging es zum Wohnhaus der Gebrüder Grimm, nein halt, nur des einen Bruders Wilhelm, der von 1802 bis 1805, nein halt, doch nur bis 1803 dort im Oberstübchen einquartiert war. Diese verflixten Schilder! Und das eigentliche Haus, in dem sie zusammen wohnten, liegt dahinter und ist nicht beschildert. Zwischen Mülltonnen und dicht unter den Regenschirmen zusammengedrängt wurde hier die Geschichte der Gebrüder und ihre Verbindung zur Stadt Marburg erörtert. Hunger auf mehr machten nicht nur die Vorträge, sondern auch die bunte Auslage des Obst- und Gemüseladens im Grimm-Haus.

Nach einem kurzen Aufstieg erreichte die Gruppe dann den Kirchhof der Lutherischen St.-Marien-Kirche, wo das nächste Referat zu den Marburger Hexenverbrennungen gehalten werden sollte, doch wir stellten fest: Das Denkmal war verschwunden! Wurde es etwa (Achtung Wortwitz) weggehext? Zu allem Überfluss wurde der Vortrag der per Telefon zugeschalteten Referentin durch das einsetzende Glockenspiel verzögert, doch der schöne Ausblick über das verregnete Marburg verkürzte die Wartezeit. Auch bei der nächsten Station, gleich um die Ecke, hatten wir wenig Glück. Die Zwingli-Treppe war durch Bauzäune abgesperrt und nicht zu erreichen, sodass nur die Google-Rezension von oldmanjohnny05 einen Eindruck davon verleiht, was uns dort entging: „Ein Wunderbare Treppe mit perfekt geformten Stufen für jede Altersklasse. Ich würde jeden empfehlen der ein mal in Marburg ist diese einzigartige Treppe zu benutzten und seine Füße mal zu verwöhnen. 6/5 Borritos von mir”. Einen Ruhepol im Gegensatz zu den aufregenden Zwisten der Vergangenheit fanden wir bei der anschließenden Besichtigung der Kirche, als wir durch einen glücklichen Zufall in die dortige Orgelprobe gerieten.

Vor dem Savigny-Haus (sprich: [ˈsaviɲi]) erntete die Gruppe dann mürrische Blicke eines Bewohners, der aus dem mittlerweile zum Wohnheim umfunktionierten Bau herauskam und sich durch die Anwesenheit so vieler geschichtsbegeisterter Studierender wohl ein wenig eingeschüchtert fühlte. Ob er wohl weiß, in welch bedeutendem Bau der deutschen Rechtsgeschichte er dort einquartiert ist? Immerhin wurde hier, wie wir von den Referentinnen lernten, die bahnbrechende Monographie „Das Recht des Besitzes“ verfasst – und noch heute ist das Besitzrecht davon geprägt. Schon deshalb hätte das Savigny-Haus mehr Zuwendung seines Eigentümers verdient.

Nach einem kurzen Blick auf die landgräfliche Kanzlei stand als nächstes die Alte Universität auf dem Plan. Gleich gegenüber dem Fronhof erinnert eine Gedenktafel an die Opfer der tragisch-berüchtigten Mechterstädt-Morde, in die die Universität verwickelt war: Mitglieder des Marburger Studentenkorps ermordeten in Thüringen im Nachgang der Wirren des Kapp-Putsches im Jahr 1920 fünfzehn Arbeiter. In der Uni wurde das viele Jahrzehnte lang gefeiert und dann beschwiegen.

Weniger düsteren Themen widmeten wir uns anschließend, als wir nach einem kurzen Spaziergang durch den Alten Botanischen Garten das Zehnthaus erreichten. Zunehmend entwickelten wir jedoch das Gefühl, dass alle bedeutenden Gebäude Marburgs der Universität gehören und alle Sammlungen und Museen der Universität zeitweilig geschlossen haben: Das ehemalige Zehnthaus an der Elisabethkirche beherbergt die Mineralogische Sammlung (geschlossen), in der Landgräflichen Kanzlei befindet sich die Religionskundliche Sammlung (nur zwei Stunden pro Woche geöffnet) – und das Kugelhaus, wo einst die ersten Archivare Hilfswissenschaften lernten, steht seit langem leer.

Eine Gruppe Menschen steht vor dem Hexenturm und dem Landgrafenschloss

Zwar wehte von den Weihnachtsmarktbuden an der Elisabethkirche der erste Glühwein-Duft herüber, doch den mussten wir uns erst noch verdienen. Tapfer bestritt die Gruppe nun ihren letzten Aufstieg hoch zum Landgräflichen Schloss, und wie schimpfte schon Jacob Grimm über Marburg: “Ich glaube, es sind mehr Treppen auf den Straßen als in den Häusern.”

Vorbei ging es am Hexenturm, der im Gegensatz zu vielen Türmen gleichen Namens tatsächlich als Gefängnis für die Marburger “Hexen” genutzt worden war, und in dem auch der berühmteste Mörder Marburgs, Ludwig Hilberg, die Zeit bis zu seiner Hinrichtung absitzen musste. 1861 hatte er die schwangere Ockershäuserin Dorothea Wiegand umgebracht und mit einer verwirrenden “Verteidigungsstrategie à la OJ Simpson” (Zitat Henne) vor Gericht zunächst einen Freispruch errungen. Drei Jahre später wurde er dann jedoch in einem zweiten Prozess auf der Grundlage der Constitutio Criminalis Carolina von 1532 verurteilt und auf dem Richtsberg 1864 hingerichtet.

Menschen schauen von einer Terrasse in die Ferne

Als wir endlich oben auf dem Schlossberg ankamen und gleichzeitig die Sonne durch die Wolken brach, tat sich uns ein atemberaubender Blick über die Stadt auf – nur die Richtstätte auf der anderen Lahnseite konnten wir nicht entdecken. Hier oben am Schloss, wo Luther 1529 mit Zwingli darum stritt, ob Jesus gleichzeitig im Himmel und in den Elementen der Eucharistie präsent sein kann, endete unsere Exkursion – nachdem auch Prof. Dr. Henne es sich nicht hatte nehmen lassen, mit einem Referat über den Rechtswissenschaftler und zeitweise im Schloss inhaftierten Revolutionär Prof. Dr. Sylvester Jordan zur Exkursion beizutragen. Und die Archivschule sorgte auch für die körperliche Gesundheit: Wir kamen auf jeden Fall über die empfohlenen 10.000 Schritte und legten ziemliche viele Höhenmeter zurück. Vielen Dank für diese schöne Exkursion, die tollen Referate, die gute Organisation und den leckeren Glühwein!

Marcel De Capitani, Carolin Fischer, Jan David Gropp, Jonathan Machoczek, Laura Michelbrink, Philipp Rachor, Vincent Ries, Deborah Rohne und Jan Seyb

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