Exkursion in die Stadt der "Dacharchive"

Am Morgen des 04. September 2023 begab sich der 60. FHL der Archivschule Marburg gemeinsam mit Kursmentor Prof. Dr. Thomas Henne auf die lange Reise zum Zielort unserer großen Exkursion: Wien. Frühaufsteher waren klar im Vorteil, denn mit einem Zwischenstopp in München waren wir insgesamt 11 Stunden auf der Schiene.

Den Umstieg in München nutzten wir für einen Besuch im Bayerischen Hauptstaatsarchiv. Dort wurden wir von Dr. Bernhard Grau, dem Generaldirektor der Staatlichen Archive Bayerns, und Dr. Christoph Bachmann, dem Direktor des Bayerischen Hauptstaatsarchivs, begrüßt und nach einer Vorstellung des Hauses durch die Magazine geführt.

Highlights waren unter anderem ein sogenannter Urkundenigel (ein Libell mit ungewöhnlich vielen Siegeln daran), bei welchem vor allem begeisterte Sphragistiker*innen auf ihre Kosten kamen, und eine Akte über einen Kriminalfall, der eine Flobertpistole beilag. Herr Bachmann nutzte diese Flobertpistole, um uns einen spannenden “True Crime”-Fall aus München zu erläutern. Nach beendeter Führung hatten wir die Gelegenheit, uns bei einem Kaffee mit den bayerischen Archivanwärter*innen und -referendar*innen auszutauschen, was zu vielen interessanten Gesprächen führte. Zum Abschluss kam es noch zu einem historischen Gruppenfoto, auf dem erstmals Anwärter*innen beider Archivschulen zu sehen waren.

Eine Gruppe Menschen auf einer Terrasse

Von München ging es im Anschluss weiter nach Wien, wo wir um 22 Uhr erschöpft in unsere Hotelbetten fallen konnten.

Nach einem ausgiebigen Frühstück machten wir uns am nächsten Morgen zu unserem ersten Wiener Archiv auf, dem Archiv für Wissenschaftsgeschichte im Naturhistorischen Museum. In der beeindruckend schönen Eingangshalle wurden wir von DDr. Martin Krenn empfangen, der uns an den Exponaten vorbei ins Dachgeschoß lotste, wo wir unser erstes Wiener “Dacharchiv” besichtigten. Denn, wie wir schnell feststellten, sollten sich viele der Magazinräume unserer Exkursionsziele in Dachgeschoßen befinden, was bei einer so hoch und dicht bebauten Stadt wie Wien wenig verwundert. Nach einer Führung durch die Räumlichkeiten und einer Erläuterung der Arbeitsweise des Archivs präsentierte uns der Kurator der Zeichnungssammlung, Mario-Dominik Riedl, im Restaurationsraum verschiedene sogenannte Typen (wissenschaftliche Zeichnungen als Erstbeschreibungen neu entdeckter Tier- und Pflanzenarten) aus der hauseigenen Sammlung.

Das Bild zeigt eine dachlandschaft und einen Innenhof

Unsere zweite Station des Tages war das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW). Als außergewöhnlich empfanden wir dort den Fokus auf der “Geschichte von unten” und dem “Menschen im Mittelpunkt”, welcher sich zum Beispiel in der Vorreiterrolle des DÖW in der Namenserschließung niederschlägt. Auch zum Thema „Rechtsextremismus nach 1945“ sammelt das Haus. Dr. Ursula Schwarz und Bibliothekar Stephan Roth nutzten ebenfalls die Gelegenheit dazu, uns die Bestände des Hauses zu präsentieren, unter anderem auch Tannenbaumschmuck in Buchform aus der NS-Zeit.

Eine Frau präsentiert eine UrkundeDer Mittwochvormittag führte uns in die exterritoriale, sogenannte “UNO-City”, wo wir das wiederum hoch gelegene Archiv der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) besichtigten. Nachdem wir im Lesesaal Platz genommen hatten, wurden wir über die Geschichte der Behörde und den daraus erwachsenden besonderen Umgang mit dem Archivgut aufgeklärt: So bestehen zum Beispiel bei den Sperrfristen besondere Sicherheitsstandards. Da das Archiv der IAEA keinem Archivrecht unterliegt, agiert es auf der Grundlage von Compliance-Richtlinien der verschiedenen Mitgliedstaaten. Die Mitarbeiter*innen bedauerten, keine mittelalterlichen Urkunden zeigen zu können, trösteten uns aber schnell, indem sie die 2005 erlangte Friedensnobelpreis-Medaille der Agency präsentierten.

Anschließend ging es in den traditionell freien Mittwochnachmittag, den die Kursteilnehmer*innen in der geschichtsträchtigen Stadt ohne Probleme mit Programm füllen konnten.

Am Donnerstag besuchten wir das Wiener Stadt- und Landesarchiv im umgebauten Wiener Gasometer, Filmkenner*innen bekannt aus dem James Bond-Film “Der Hauch des Todes” (1987). Heute beherbergt der Gasometer neben einer Mall auch das Wiener Stadt- und Landesarchiv. Sehr aufschlussreich waren die Präsentation von älteren Beständen (wie historischen Karten der Stadt), die Retrokonversion und das “Wien Geschichte Wiki”. Besonders interessierte uns auch die Vorstellung des Pilotprojektes zur Digitalen Langzeitarchivierung durch die Direktorin des Hauses, Dr. Brigitte Rigele.

Das Kontrastprogramm folgte am Nachmittag, an dem wir das geschichtsträchtige “Ein-Personen”-Zentralarchiv des Deutschen Ordens besuchten. Hier stellte uns der Archivleiter, Bernhard Huber, die Geschichte des Deutschen Ordens anhand ausgewählter Bestände vor. Den Tag beschlossen wir in der (angenehm kühlen) Sala Terrena mit einer Fragerunde.

Eine Gruppe Menschen steht in einer Bibliothek

Schweren Herzens verließen wir Freitagmorgens das Hotel in der Wiener Innenstadt in Richtung unseres letzten Archivs. Mittlerweile schon fast Profis in der Navigation im Wiener Nahverkehr, erreichten wir das Österreichische Staatsarchiv ohne Probleme. Der Archivzweckbau, “eine Art Sammelarchiv für alles”, beherbergt militärische Akten, auswärtige Akten und Schriftgut von 13 Ministerien als das Regierungs- und Verwaltungsarchiv.

Nach der Vorstellung des Archivs durch Dr. Berthold Konrath entspann sich eine rege Diskussion archivwissenschaftlicher Themen mit den Kursteilnehmer*innen. Abgerundet wurde der Besuch durch eine Führung durch den Lesesaal und die Restaurationswerkstatt im Haus. Fun Fact: Neben über 20 Arten Schimmel, die diese im Laufe der Jahre auf dem Archivgut klassifizieren konnte, war ausgerechnet die Abschrift des Augsburger Religionsfriedens mit Fußpilz befallen.

Ein Mann spricht zu einer Gruppe Menschen

Mit unseren Koffern beladen, ging es nach dem Abschied vom Staatsarchiv zum Wiener Hauptbahnhof, von wo aus wir unsere ungefähr zehnstündige Heimreise antraten. An diesem Abend um etwa 1 Uhr nachts fielen wir wieder erschöpft in unsere Betten, diesmal aber unsere eigenen.

(Leon Fouquet, Juliane Haberkorn und Inken Kulencord)

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