„Roms Archive sind alle miteinander verbunden.“ Fahrt des Wissenschaftlichen Lehrgangs in die Ewige Stadt

Zu sehen ist ein kolorierter Stadtplan mit einem Fluss

Der 57. Wissenschaftliche Lehrgang hat seine große Exkursion unter der Leitung von Dr. Florian Lehrmann in Rom verbracht. Vom 3. bis zum 8. September 2023 besuchten die Referendarinnen und Referendare Archive verschiedener Sparten in der Ewigen Stadt.

Die erste Station führte die Gruppe am Montag in das Archivio di Stato di Roma, das Staatsarchiv Rom, das für die Region Latium zuständig ist. Dr. Angelo Restaino begrüßte die Gruppe herzlich im Innenhof des barocken Gebäudekomplexes, welches der berühmte Architekt Francesco Borromini für die römische Universität, die Sapienza, gestaltet hat. Das Staatsarchiv entstand 1871, nach der Einnahme des Kirchenstaates durch das Königreich Italien, und verwahrt unter anderem die Bestände der Zentralbehörden des Kirchenstaates, soweit sie außerhalb der Vatikanmauern lagen. Nach dem Besuch des Lesesaals mit seiner faszinierenden Kassettendecke betraten die Teilnehmenden die beeindruckende Alexandrinische Bibliothek – benannt nach Papst Alexander VII. –, in der einige Zimelien des Staatsarchivs präsentiert wurden. Von notariellen Protokollen über das Register des römischen Hospitals San Salvatore bis hin zu einem Polizeibericht über die Verhaftung des Barockmalers Caravaggio erwartete die Gruppe eine abwechslungsreiche Auswahl archivischer Schätze. Auf Interesse stieß, dass das älteste Stück des Archivs, eine ebenfalls gezeigte Privaturkunde aus dem Jahr 883, über einen Ankauf ins Archiv kam und gar nicht aus Latium, sondern aus der Emilia-Romagna stammt: Das Archiv, das anfangs nur über wenige Urkunden verfügte – diese lagen meist im Vatikan –, hielt es aus Prestige-Gründen für nötig, Urkunden auch ohne regionalen Bezug zu erwerben. Für Gänsehaut sorgte das einzigartige handschriftliche Geständnis der als vermeintliche Hexe verfolgten Bellezza Orsini von 1528, welches sie im Zuge ihres Gerichtsprozesses anfertigte. Der Besuch war erfüllt von einem regen fachlichen Austausch über die italienische Archivarsausbildung, Erschließungsstrategien und die Online-Informationssysteme des Staatsarchivs sowie archivrechtliche Aspekte bezüglich der Zusammenarbeit zwischen dem Staatsarchiv und den Behörden bei der Übernahme von archivwürdigen Unterlagen.

Eine Gruppe Menschen steht vor einem Hintergrund, der eine italienische Straßenszene zeigt

Am Nachmittag wurde ausnahmsweise kein Archiv, sondern das Postgebäude an der Piazza di San Silvestro besucht, in dem jedoch eine Archivausstellung aufgebaut war. Da das Historische Archiv der Italienischen Post selbst derzeit renoviert wird, konnte die Gruppe in diesem prächtigen Verwaltungsbau die Ausstellung „Poste Storie“ ansehen, die anlässlich des 160-jährigen Jubiläums der Italienischen Post gezeigt wurde. Die Leiterin des Archivs, Francesca Celani, ein Mitarbeiter und eine Übersetzerin führten kenntnisreich durch die Schau und vermittelten der Gruppe die verschiedenen Etappen der italienischen Postgeschichte. Unter anderem wurden ein Fernschreiber, Briefmarken und Feldpostbriefe, aber auch alte Uniformen, Postfahrräder und Briefkästen vorgestellt. Besonders nachdrücklich blieben die gezeigten Elemente des Rohrpostsystems in Erinnerung. Die italienische Post hat aktuell 12.800 Poststationen und ein durchaus großes Aufgabenfeld, unter anderem in den Bereichen Versicherung, Bankwesen und Telefondienst. Das Archiv ist vor allem in den Bereichen Bestandserhaltung und Unternehmenskommunikation tätig. Die Ausstellung war gelungen in den Alltag der Menschen eingebaut, denn während der Wartezeit auf einen frei werdenden Schalter ließ sich sehr gut ein Überblick über die Vergangenheit der Italienischen Post gewinnen.

Eine Gruppe Menschen hört bei einer Führung zwei Personen zuAm Dienstag besuchte die Gruppe das Deutsche Historische Institut in Rom (DHI Rom). Dort wurde sie vom Direktor, Prof. Dr. Martin Baumeister, begrüßt und in die Geschichte und die Aufgabenbereiche des Instituts eingeführt. Dieses wurde 1888 gegründet, um Forschungen im einige Jahre zuvor von Papst Leo XIII. geöffneten Vatikanischen Archiv durchführen zu können. Im Anschluss stellte Dr. Andreas Rehberg das Institutsarchiv vor und zeigte im Magazin einige der Archivbestände, die von der Gründungszeit des DHI im 19. Jahrhundert bis in die 1970er Jahre reichen. Wichtig für die Forschung sind etwa Berichte über Archivreisen, in denen sich auch Fotografien und Transkriptionen von Urkunden und Amtsbüchern aus italienischen Archiven befinden, die im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden. Anschließend wurde die Gruppe in ein beeindruckendes Projekt im Bereich der Digital Humanities eingeführt, das RG Online, das die Daten des „Repertorium Germanicum“ und des „Repertorium Poenitentiariae Germanicum“ im Netz präsentiert. In vielen Punkten ergaben sich hierbei Anknüpfungspunkte zu Erfahrungen der Teilnehmenden aus dem Archivbereich. Probleme wie Namensvarianten bei historischen Personen und Herausforderungen beim sinnvollen Einsatz von Normdaten sind nur einige Beispiele. Zuletzt wurde der Besuch noch durch einen Abstecher zu den Altbeständen der Bibliothek und eine Führung durch den wunderschönen Garten mit eigener Produktion von Zitrusfrüchten abgerundet.

Am Mittwochvormittag ging die Gruppe in das „Archivia“, das zugleich ein Archiv für die Frauenbewegung, eine Bibliothek und eine staatlich anerkannte Kulturinstitution ist. Es ist in der „Casa Internazionale delle Donne“ untergebracht, einem gemeinsamen Zentrum zahlreicher Frauenorganisationen im Stadtteil Trastevere. Die heutige Nutzung des Gebäudes hat durchaus einen Bezug zu dessen Vergangenheit, denn früher diente der Komplex aus dem 17. Jahrhundert als Frauengefängnis. Die Leiterin des Archivs, Loretta Bondì, gab einen Einblick in die Geschichte der Frauenbewegung in Italien, stellte die Entwicklung des Archivs dar, das heute durch eine Vereinbarung mit der Stadt Rom abgesichert ist, und zeigte einige Plakate aus dem Bestand des Archivs. Es gab auch Gelegenheit, mit einer Archivmitarbeiterin über die Wahrnehmung der archivarischen Aufgaben ins Gespräch zu kommen. Bei einem Rundgang durch das Gebäude wurde die Gruppe in Zellen, die noch von der früheren Nutzung zeugen, und auf die Dachterrasse geführt, die einen schönen Blick auf die römische Dachlandschaft und auf den Hügel Gianicolo gewährte.

Eine Gruppe Menschen steht auf einer Terrasse, im Hintergrund ist die Kuppel des Petersdoms zu sehen

Am Nachmittag dieses Tages ging es in das Archiv der Curia Generale dei Frati Minori, also in das Archiv der Ordensleitung des Franziskanerordens, das sich in der Nähe der vatikanischen Gärten befindet. Hier begrüßte der Leiter des Archivs, Fr. Chryzostom Fryc OFM, die Teilnehmenden. Nachdem sie von einer Terrasse aus eine fantastische Aussicht auf den Petersdom genießen konnten, wurden sie von ihm, einem weiteren Ordensangehörigen und einer Archivarin durch das Archiv geführt. Entlang der Bestände erlangten die Teilnehmenden tiefe Erkenntnisse über die Geschichte und Struktur des Franziskanerordens, seine weltumspannenden Tätigkeiten und sein Archivwesen. So waren die Teilnehmenden erstaunt, dass das Archiv frühneuzeitliche Archivalien enthält, die sich auf die Missionen der Franziskaner in Mexiko und China beziehen. Da das Archiv auch Unterlagen aus anderen, zum Teil aufgelösten, Ordensniederlassungen verwahrt, konnten auch mittelalterliche Papsturkunden bewundert werden. Besonders beeindruckte die Teilnehmenden die professionelle Führung dieses Archivs, das über ein klimatisiertes Magazin und eine Buchbinderei verfügt, in der Restaurierungen durchgeführt werden. Zum Abschluss konnte die Gruppe auch die Klosterkirche samt Chor sowie den Kreuzgang besichtigen.

Menschen machen sich bei einer Führung in einem Saal Notizen

Den Vormittag des Donnerstags prägte ein intensiver Besuch des Archivio Storico Capitolino. Das Archiv der Stadt Rom ist seit 1922 in einem im 17. Jahrhundert von Francesco Borromini entworfenen monumentalen Klosterkomplex untergebracht – einem historischen Gebäude mit allen Vor- und Nachteilen, wie uns Archivarin Dr. Cristina Falcucci, die die Führung übernahm, berichtete. Die Übersetzung übernahm freundlicherweise Dr. Andreas Rehberg (DHI Rom). Das Archiv strahlte eine angenehme Arbeitsatmosphäre aus, besonders beeindruckend war der Lesesaal, ein prachtvoller Ovalsaal mit Marmorkamin. Unser Rundgang startete mit einer Einführung in die Bestände des Stadtarchivs. Auf besonderes Interesse stieß, dass sich das Archiv verstärkt um den Aufbau einer umfassenden Ergänzungsüberlieferung durch die Akquise von Familienarchiven verdient gemacht hat, um Überlieferungslücken, die unter anderem infolge des Sacco di Roma entstanden waren, auszugleichen. In einer ausgezeichnet vorbereiteten Archivalienschau wurde uns ein Querschnitt der verwahrten Überlieferung präsentiert, der einen großformatigen kolorierten Stadtplan aus dem 19. Jahrhundert und Häuserpläne aus Bauaufsichtsakten ebenso einschloss wie eine Verwaltungsakte zur Vorbereitung eines kaiserlichen Besuchs Wilhelms II. in Rom. Den Abschluss bildete die Besichtigung des Magazins, infolge derer sich ein italienisch-deutscher Austausch über die digitale Langzeitarchivierung entspann.

Menschen stehen in einem Raum mit Bücherregalen und hören einer Frau zu

Am Nachmittag dieses Tages stand das Archiv einer vatikanischen Behörde auf dem Programm, das des Dikasteriums für die Glaubenslehre (besser bekannt als Glaubenskongregation). Die Teilnehmenden wurden hier vom Leiter des Archivs, Mons. Patrick Descourtieux, begrüßt, der Archivar Dr. Daniel Ponziani übernahm die Führung, und Dr. Karin Mair (Römisches Institut der Görres-Gesellschaft) sorgte für die Übersetzung. Ponziani erläuterte die Geschichte dieser Einrichtung, die zunächst unter der Bezeichnung „Kongregation der Römischen und Universalen Inquisition“ firmierte, 1542 zur Abwehr protestantischer Ideen gegründet wurde und als Gerichtshof für Fragen der katholischen Glaubens- und Sittenlehre fungierte. Das Schriftgut dieser Behörde ist nicht vollständig überliefert, denn nach der Abdankung Napoleons – der das Archiv der Inquisition wie zahlreiche andere römische Archive nach Paris hatte verbringen lassen – verblieben die Amtsbuchserien zu den Prozessen und Urteilen größtenteils in Paris und wurden zumeist als Altpapier verkauft. Das heutige Archiv umfasst neben der erhaltenen Überlieferung der römischen Inquisitionsbehörde auch die Unterlagen der Kongregation für den Index der verbotenen Bücher und die Unterlagen der Inquisition von Siena. 1998 wurde das Archiv durch den damaligen Präfekten der Glaubenskongregation, Joseph Ratzinger, für die Forschung geöffnet. Eine Ausstellung in den Räumlichkeiten des Archivs gewährte einen repräsentativen Einblick in die Bestände des Archivs. Diese umfassen in großem Umfang auch Unterlagen zur Geschichte des Judentums in Rom, da die Inquisition für die Aufsicht über die jüdische Gemeinde Roms zuständig war.

Nach den offiziellen Programmpunkten der Tage nutzten die Teilnehmenden die Gelegenheit, andere Sehenswürdigkeiten in Rom anzusehen. Am letzten Tag besichtigte man die antike Nekropole unter dem Petersdom. Mehrfach zeigten sich auch Beziehungen zwischen den besuchten Einrichtungen untereinander und zu anderen römischen Archiven – sowohl, was die Bestände, als auch, was das Archivpersonal betraf. Als es bei der Führung durch das Archiv der Glaubenskongregation hieß, dass die vielen Archive Roms alle miteinander verbunden seien, konnten die Teilnehmenden deshalb auch aus eigener Erfahrung zustimmen.

(Timo Bollen, Elisabeth Fischer, Mareikje Mariak, Julia Schneider und Jonas Springer)

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