Zu Demokratie-Orten und Welterbe-Stätten

Eine Gruppe Menschen ist von oben fotografiertEines der Wunsch-Ziele der Studierenden des 57. Wissenschaftlichen Lehrgangs und des 60. Fachhochschullehrgangs für die Tagesexkursionen war Kassel und Bad Arolsen. Die Exkursion dorthin fand am 31. Mai 2023 unter der Leitung von Dr. Florian Lehrmann statt.

Das erste Ziel der mit dem Bus durchgeführten Exkursion war das Archiv der deutschen Frauenbewegung (AddF) in Kassel. Barbara Günther und Laura Schibbe erläuterten die Struktur und die Arbeitsschwerpunkte dieses „freien“ Archivs, das seit 2021 ein „Ort der Demokratiegeschichte“ ist. Es entstand in den 1980er Jahren auf Initiative einer Dozentin der Gesamthochschule Kassel, der bewusst wurde, dass es keinen Sammlungsort für die Geschichte der Frauenbewegung gab. Der Sammlungsschwerpunkt des Archivs ist die sogenannte „erste Frauenbewegung“, die etwa vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis in die 1960er Jahre anzusetzen ist. Zusammen mit anderen Frauenarchiven und ähnlichen Einrichtungen, die den i.d.a.-Dachverband bilden, präsentiert das AddF seine Erschließungsdaten und auch Digitalisate im „META-Katalog“. Das AddF ist auch in der Forschung aktiv und gibt einmal im Jahr die Zeitschrift „Ariadne“ heraus, die sich immer einem bestimmten Thema widmet. Zurzeit erforscht das AddF unter anderem die Frage, inwiefern es in der Nachkriegszeit in Kassel „Trümmerfrauen“ gegeben habe oder nicht.

Landschaft mit Bäumen, Gebäuden und MenschenIm Anschluss an die Führung ging man wenige Schritte zum Nordcampus der Universität Kassel, einem Gelände mit einer inspirierenden Mischung aus alten Industriebauten, modernen Gebäuden, Beeten und Bäumen. Hier stellte Dr. Peter Wegenschimmel sehr knapp das noch junge Universitätsarchiv Kassel vor, dessen Leitung er erst kurz zuvor übernommen hatte. Anschließend testeten die Teilnehmenden die auf dem Gelände gelegene „Forschungskantine“ (Untertitel: „Labor für kulinarische Forschung und nachhaltige Alltagsernährung“) und waren mit den Erzeugnissen sehr zufrieden.

Daraufhin ging es mit dem Bus nach Bad Arolsen. Hier wurden die Arolsen Archives besucht, das weltweit größte Archiv zu den Opfern des Nationalsozialismus. Die Teilnehmenden wurden hier in zwei Gruppen durch die Dauerausstellung und das Magazin des Archivs geführt. Franziska Schubert und Christiane Weber stellten die Geschichte, die Struktur und wichtige Quellengruppen dieses Archivs vor, das nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als Internationaler Suchdienst (International Tracing Service, ITS) entstand und dem „Internationalen Ausschuss“ mit Regierungsvertretern aus elf Staaten unterstellt ist. Seit mehreren Jahren zählt es mit seinen Originalbeständen zum UNESCO-Weltdokumentenerbe. Der „Schlüssel“ zum Gesamtbestand ist die sogenannte Zentrale Namenkartei, die nach dem alphabetisch-phonetischen System aufgebaut ist und Informationen zu circa 17,5 Millionen Menschen enthält. Mit der Vergangenheit der Einrichtung als Suchdienst hängt zusammen, dass ein Großteil der Dokumente aus der NS-Zeit aus ihrer ursprünglichen Ordnung nach Provenienzstellen gerissen und nach Personen geordnet wurde. Das war für die Suche nach Personen praktisch, hat aber auch Nachteile, da man heute nicht immer weiß, woher welche Dokumente stammen. Man hat deshalb eine Software entwickelt, welche die Dokumente – die heute meist auch in digitalisierter Form vorliegen – automatisch bestimmten Typen zuordnet und auf diese Weise eine virtuelle Rekonstruktion des ursprünglichen Ordnungszustands ermöglichen soll. – Um Nutzenden das Verständnis der Archivalien zu erleichtern, hat man überdies den online und in mehreren Sprachen verfügbaren „e-Guide“ erarbeitet, welcher die Bedeutung von Angaben und Vermerken auf den Dokumenten erklärt.

Menschen in einer Halle mit Schränken und RegalenDie Teilnehmenden waren überrascht, als sie sahen, dass dermaßen bedeutende Archivalien momentan an einem ungewöhnlichen Ort aufbewahrt werden – in einer Halle in einem Gewerbegebiet. Das ist aber nur ein Ausweich-Magazin – ein Archivneubau ist für 2028/29 vorgesehen.

Als die Teilnehmenden wieder zurück nach Marburg fuhren, hatten sie aufschlussreiche Einblicke in die Vielfalt der nordhessischen Archivlandschaft gewonnen.

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